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Anders als gewöhnlich

Eine Kinderarztpraxis ist für Kinder da !? Ein entschiedenes AUCH! Putzige Tiere mit Kulleraugen sind nicht die universelle Gestaltungslösung.

Dr. Ingo Germund-Maiwald & Dr. Georg Zerhusen

Eine Praxis für Kinder- und Jugendmedizin, Kinder – und Jugend Kardiologie & Reisemedizin mitten in Köln, von zwei erfahrene Ärzten, die genau wissen, was wichtig ist und was sie wollen. Das aber bitte anders als gewöhnlich.

Die Räume liegen im Stadtteil Ehrenfeld in einem schicken Neubau. Man betritt die Praxis und ist irritiert. Wo sind die kulleräugigen Enten, Frösche und Teddys? Was macht die Lasertechnik hier? Ist hier am Wochenende ein Club? Und wer ist eigentlich dieses freche Etwas, was sich überall herumtreibt ? Und dann dämmert es und die ersten Laserblitze tauchen auf…

Die Story

Ich möchte Räume schaffen, die positive Emotionen hervorrufen. Menschen möchte ich zu Erfahrungen einladen, die ich kreiere. Das geht am Besten, wenn eine Geschichte erzählt werden kann. Die ist immer einzigartig und entsteht aus dem Ort und der Aufgabe heraus und aus der Zusammenarbeit mit Menschen.

Heinz Gaul und der kleine Heinz

Genau an diesem Ort war von 2012 bis Februar 2021 der Kölner Kult-Club Heinz Gaul. Auf dem Areal und in den alten Hallen des gleichnamigen Metallgroßhandels tobte hier das Leben im angesagten Elektroclub: DJs, Techno Nächte, Graffiti Kunst und Lasershows, in den Hallen und draußen, der Szene Treff für Köln und Umgebung. Die Generation, die hier gefeiert hat sind jetzt die Eltern der Patienten der Praxis für Kinder- und Jugendmedizin der Ärzte Dres. Germund-Maiwald & Zerhusen.

Club Heinz Gaul
auf dem ehemaligen Gelände und unter gleichem Namen des Metallgroßhandels

Der Start

des Projektes war unmittelbar und direkt. Von 0 auf 100.

Ein Termin vor Ort in einem unwirklichen Betonskelett mit großen Fragezeichen in allen Augen. Pläne mussten her, alle Handwerker brauchte sofort Angaben und so sind wir am 4. Advent 2022 mit einer Gestaltungssession in meinem Büro in Wuppertal gestartet. Der Adventskaffee wurde abgekürzt, die Familien wurden zurückgelassen und um 16:30 Uhr haben wir die ersten Ideen und Konzepte besprochen. Es wurde eine langer Abend. Vor Weihnachten stand das Grundrisslayout, eine grobe Möblierung und eine Grundidee zum Lichtkonzept war fertig. Und dann ging es immer tiefer in alle Details. Wann bekommen wir denn mal eine Idee wie es aussehen wird? Eine spannende Frage, die jedes Mal wieder weiter nach hinten geschoben werden musste, weil lauter technische Fragen und Entscheidungen getroffen werden mussten. Die Wände wurden aufgestellt – das erste zaghafte Raumgefühl stellte sich ein. Es ging vorwärts und dann gab es wieder einen Rückbau, dann tat sich mal nichts und dann ging rasend schnell, war aber nicht richtig, wieder zurück und noch mal… Ein turbulente Zeit. Der Ein oder Andere war nicht immer in seiner Mitte, wurde aber eingefangen und wieder auf die richtige Bahn gebracht. Trotz allem brachen immer Momente der Freude und Begeisterung durch. Auf den letzten Metern bahnten sich Katastrophen an, nahmen Form an und irgendwie wurde dennoch am geplanten Eröffnungstag die Tür auch wirklich aufgemacht. Alle Beteiligten hat es Kraft und Anstrengung gekostet, aber das Ziel wurde nicht eine Minute aus den Augen gelassen und es hat sich gelohnt. Mit einem Nachlauf im Praxisbetrieb ging es dann noch etwas nervig weiter. Aber das fantastische Ergebnis überstrahlt alles.

Das Konzept

Viele unterschiedliche Bedürfnisse und Anforderungen bei den weit auseinanderliegenden Fähigkeiten und Entwicklungsstufen aller Besucher und Nutzer einer Praxis für Kinder- und Jugendmedizin machen die Entwicklung eines Gestaltungskonzeptes zu einer wirklichen Herausforderung.

Die erste Frage die wir uns gestellt haben war klar: Für wen machen wir hier was?Wer sind die Nutzer und welche Bedürfnisse haben sie?

Genau betrachtet haben wir es hier mit einem Altersklasse der Patienten von 0 -18 Jahren und darüber hinaus mit einem Altersspektrum der Eltern bis hin zu den Großeltern zu tun. Nicht zu vergessen die Mitarbeiter, deren Arbeit durch funktionale Abläufe unterstützt werden will und die beiden Inhaber, die eine Vision von Ihrer Praxis haben. Funktionalität und Strukturen sind gefordert, aber es soll auch ein Ort entstehen, wo die beiden Ärzte morgens gerne die Tür aufschließen und sich gut fühlen. Denn am Arbeitsplatz hält man sich schließlich länger auf als im eigenen Zuhause. Struktur und Atmosphäre sind also die Themen.

Geeignet für alle von 0 – 99 Jahre

Die Patienten

  • Neugeborene 0-28. Lebenstag. Reflexbestimmt bei der Nahrungsaufnahme und Bewegung
  • Säuglinge 0 bis 12 Monate. Licht, Hell und Dunkel und dann Farbigkeit ist wahrnehmbar. Etwas, dass in Bewegung is, ist immer interessant und vom Krabbeln geht es zum Laufen. Alles ist interessant, was sie entdecken und begreifen können.
  • Kleinkinder 1 – 6 Jahre machen eine enorme Entwicklung im motorischen, sprachlichen und bei der Sozialkompetenz durch.
  • Kinder 6 – 14 Jahre das sind die Schulkinder.
  • Jugendliche 14 – 18 Jahre wollen nicht mehr in eine „Baby Praxis“ gehen – total uncool. Brauchen in Ihrer Entwicklungsphase, der Pubertät Akzeptanz und Unterstützung.

Die Eltern

Eltern sind über eine lange Phase die Hauptansprechpartner, suchen Hilfe und brauchen Unterstützung in allen Entwicklungsphasen ihrer Kinder.  Was brauchen Eltern und wo fühlen sie sich wohl? In welcher Umgebung halten sie sich sonst gerne auf? Welche Atmosphäre suchen sie? Von Industriallook, über Ikeastyle bis zu skandinavischen Design. Zeitgemäß, klar und vielleicht auch ein bisschen trendy.

Welche Wüsche und Themen haben Eltern an Ihren Arzt und die Praxis? Die Gedanken der Eltern beschäftigen sich mit: fühle ich mich gut aufgehoben, ist Raum für meine Kinder da. Beruhigt die Atmosphäre. Einen Spielplatz und wilde Animation sind nicht notwendig. Ich will auch nicht lange bleiben. Das Gefühl, dass der Arzt zuhört und sich Zeit nimmt, wenn es drauf ankommt. Manchmal reicht auch ein schneller Blick – nur für mich zur Sicherheit. Ist die Gesamtatmosphäre zugewandt und werde ich mit meinen Sorgen ernstgenommen.

Die Gestaltung

Räume sind wirksam! Wie setzt man diese Erkenntnisse zur Nutzstruktur und deren Bedürfnisse jetzt in eine erfahrbare Gestaltung um? Mit dem richtigen Handwerkszeug, der Erfahrung und den wissenschaftlichen Erkenntnisse haben wir uns auf den Weg gemacht.

Vorne – Öffentlich & Hinten – Privat

Vorne sind die Praxisräume in 2 organisatorische Bereiche geteilt:  in den öffentlichen- und den persönlichen Bereich – und das wird mit Hilfe der Auswahl der Materialien und der Farben klar charakterisiert und wahrnehmbar. Im öffentlichen Bereich zu dem der Eingang, die Kinderwagen Parkplätze, der Empfang und die Wartebereiche gehören, ist durch den Industrial Style geprägt. Materialien wie Glas, Metall, Beton und Holz, kontrastreich, markant und großflächig eingesetzt. Durchblicke und Einblicke überraschen. Ein paar optische Highlights wie eine Glasbausteinwand oder gefaltete, schräglaufenden Wände zu den Räumen überraschen. Vorne ist es eine hell, einladende Atmosphäre mit zeitgemäßem Design.

Hinten, im persönlichen Bereich ist es ruhiger. Hier konzentriert sich alles auf die Eltern und die Patienten.  Die Raumdimensionen sind reduziert und klar strukturiert. Jeder erkennt seinen Platz im Raum. Überwiegend weiß, mit pastellfarbenen Akzenten, der Besprechungplatz hat einen Massivholztisch, der eine angenehme Haptik hat und den zentralen Punkt für das vertraute Gespräche ist. Wiederkehrende Elemente wie die Holzbänke mit Kissen, die in der ganzen Praxis die Sitzbereiche kennzeichnen sind auch in den Sprechzimmern zu finden sind. Eine Untersuchungsliege mit einem Treppenelement, das den Kindern ermöglicht, selbstständig auf die Liege zu krabbeln, dem Arzt direkt einen Eindruck der motorischen Fähigkeiten vermittelt und den Eltern erlaubt, sich direkt an die Liege zu setzen um Ihr Kind zu unterstützen und auf Augenhöhe während der Untersuchung mit dem Arzt zu sprechen. Die Formensprache hat hier das Oval als Thema und bildet einen deutlichen Unterschied zu den markanten und gradlinigen Formen im vorderen Bereich. Die Räume haben eine vertrauliche Atmosphäre, sind sanft und unaufgeregt.

Ein Bermuda Dreieck ( die Erfindung der beiden Ärzte!) – eine Quick Response Zone – in der man plötzlich verschwindet und nicht mehr zu sehen ist. Ein Bereich der dem Arzt die Möglichkeit gibt, abseits vom Geschehen einen schnellen Blick zu werfen und zu entscheiden, ob mehr zu unternehmen ist, oder ob es für die Eltern und Patienten schnell wieder nach Hause gehen kann. 

Oben für Große & Unten für Kleine

Eine horizontale Teilung der Praxis nimmt Bezug auf in den jeweiligen Sichtbereich der großen Menschen und der kleine Menschen. Dinge sind deutlich sichtbar für die Kinder, weil die Augenhöhe und damit die Perspektive eine ganz andere ist. 

Die Empfangstheke ist klar in oben und unten geteilt und die Kinder entdecken es sofort: Während die Begleitperson oben die Formalien regelt, sitzt unten das Kind in seinem Sitzrahmen. Podeste in den Wartezimmern, Räume mit eher kleiner Grundfläche, die aber durch Fensterfläche und große Glaselemente luftig wirken, erlauben zu sitzen, zu klettern und sich zu bewegen. Nichts kann verrückt werden, kein Lärm und alles bleibt übersichtlich. Büchernischen, geheime Fächer sind zu finden. 

Oben, für die Großen, wird im Eingangsbereich das Clubleben wieder in Erinnerung gebracht. Fotos aus den wilden Technozeiten bringen Heinz Gaul zurück. Ein unübersehbarer Blickfang ist ein Bild der Lasershow, wandhoch, leuchtend und fast hört man die Beats und sieht die Laser zucken.

Unten entdecken die Kleinen dieses freche Etwas. Nur 10cm groß blickt er um die Ecken, sitzt auf einer Leuchte oder Blick über eine Kante. Frech und provokant taucht der kleine Heinz überall auf. Mal sprüht er frech Graffiti an die Wände, dann hängt er mit Hoody und Handy in einer Ecke rum, schraubt an der Heizung, schickt Papierflieger los und sticht mit einem Papierboot am Bermuda Dreieck in See. Der kleine Heinz macht auch noch ein paar Dinge, die brave Kinder nicht tun. Da gibt es einiges zu entdecken. 

Auch die Behandlungszimmern halten eine Überraschung bereit und die ist für die Großen und die Klein ein Hingucker. Die Deckenfläche über den Untersuchungstischen öffnet sich und herausfallen bunte, schimmernde Plexiglasformen. Ein poetisches Mobile, immer leicht in Bewegung. Transluzente Farbflächen schweben, Farben addieren sich und jeder Blickwinkel lässt ein anderes, farbenfrohes Bild entstehen. Das Auge hat sofort Halt. Es macht einfach Freude hinzusehen, es beruhigt und beschäftigt die Kinder. Lichtspiele entstehen an den Wänden wie von Zauberhand.

Grundrisslayout: Wenn alles aus dem Winkeln läuft – hilft nur schräg sein

Die Praxis hat eine Fläche von 168qm, die Räume liegen an der Fensterfront entlang und schließen als Eckbebauung in unterschiedlichen Winkeln an die Gebäude der beiden Straßenfluchten an. Die Herausforderung war, Räume zu schaffen, die eine klare Ausrichtung haben. Das war nur möglich in dem die Wände zum Flur hin in Bewegung gesetzt werden.

Die gefaltete, in unterschiedliche Achsen laufenden Flurwände fangen die verschiedenen Winkeligkeiten des Grundrisses auf und können so auf besondere Funktionen und den Platzbedarf in den Räumen Rücksicht nehmen. Der Innere Bereich mit Empfang und Wegezonen erhält dadurch eine lebendige Linie. Lichtlinien folgen diesen bewegten Wänden. Rechtwinklig zum Erschließungskern des Hauses ist der innere Bereich mit WC, Lager, Backoffice und Labor der Halt und Orientierung bietet.

Akustik ist besonders in einer Praxis mit kleinem lebendigen Klientel ein besonders wichtiges Thema. Überall dort, wo gesprochen wird, sind schallschluckende Flächen notwendig, um ein Sprachverständnis zu gewährleisten und eine angenehme Atmosphäre ohne Hall zu schaffen. Der Lärm, der entsteht, darf sich nicht potenzieren. Auch das Mobiliar trägt dazu bei. In der gesamten Praxis dienen festeingebaute Bänke oder Podestanlagen als Sitzmöbel. Kein Hin und Her rücken, niemand kann vom Stuhl fallen und es bleibt aufgeräumt in den Räumen. Das Ergebnis ist eine ruhige und entspannte Atmosphäre in der Praxis, die sich auf die Kinder überträgt und den Ärzten und dem Personal ein entspanntes Arbeiten ermöglicht.

Licht ist ein weiteres entscheidendes Gestaltungselement. Eine gute Ausleuchtung ist notwendig sowohl da, wo untersucht wird, an den Arbeitsplätzen aber auch atmosphärisch und gestaltend für eine gute und angenehme Stimmung in den Räumen. Es kommt nicht in erster Linie auf einen tollen, ausgefallenen Leuchtenkörper an, sondern das Licht ist das entscheidende. (Wir wollen ja keine Lampenausstellung haben. Ein Lieblingsspruch meines Lichtplaners des Vertrauens.) Neben einem Schienensystem, das der Form der Wände folgt, Einbaudownlights, die Helligkeit genau an die Stelle liefern, wo sie gebraucht wird, gibt es ein paar besondere Lichtquellen. Das große hinterleuchtete Bild des Technoclubs ist ein Highlight und die indirekte Beleuchtung der Mobiles, die so ganz nebenbei auch noch ein magisches Lichtspiel auf die Wände zaubert. Spaß darf Licht auch machen: Wer wünscht sich nicht eine Campari-Leuchte über dem Pausentisch.

Das fabelhafte GBP – IGM – GZ Projekt

  • IGM: Dr. Ingo Germund-Maiwald, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin und Kardiologe
  • GH: Dr. Georg Zerhusen, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin und Reisemedizin
  • GBP: Gudula Be-Pechhold, Innenarchitektin
  • Waldorf und Statler: sehr wichtige Mitglieder des Teams, besonders in bedrohlichen Situationen immer einen flotten Spruch auf den Lippen. Barometer der Gefühlswelt und Sprachrohr bei Sprachlosigkeit
  • Noch mehr Team:
  • Stefanie Levers, Graphik Designerin und „Mutter“ vom kleinen Heinz, mit dem richtigen Gefühl für „bloß kein Kindchenschema, bitte keine putzigen Figuren“ und kreativer Strichführung.
  • Michael Schlothane, Fotograf, neo7, der noch einen oben drauf gesetzt hat: seine Bilder transportieren die Atmosphäre in der 2D Ebene und geben den Rahmen für den Blick auf das Besondere.
  • Herr Clemens, Inhaber der Tischlerei Clemens, Wuppertal. Die Räume wären leer. Zuverlässig und konzentriert hat er die Möbel in diese Praxiswelt gesetzt. ( und ein bisschen Spass hat es auch gemacht…)
  • Herr Ohlies und Team, Lichtplanung Ohlies, was wäre die Welt ohne Licht und ohne die, die es in die Räume hinein montieren.

Das Ergebnis

Auf relativ kleiner Fläche ist eine Praxis mit einer abwechslungsreichen Atmosphäre entstanden, die auf die Bedürfnissen der unterschiedlichen Nutzer eine gestalterische Antwort gefunden hat. Unerwartet und mit überraschenden Details, untypisch und mit neuen Antworten auf eine klassische Aufgabe.

Danke!

„Ein außergewöhnliches Ergebnis, das nur in diesem fabelhaften Team entstehen konnte. Es war eine super gute Zeit ( bei allem Streß und Herausforderungen dieser Baustelle), mit soviel Spass und wir hatten unzählige wunderbare Momente. Gemeinsame Ideen, verrückte Ansätze, überraschende Entwicklungen, Vertrauen und den Willen etwas zu schaffen, was anders als gewöhnlich sein sollte. Und genau so ist es geworden.“
Gudula Be-Pechhold

1 Kommentar

  1. Pingback:Jahresrückblick 2023: intensiv und leicht - Gudula Be-Pechhold

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